Sommersemester 2020

TU Dresden

Institut für Soziologie

 

 

Seminar

Die Soziologie und der Cultural Turn

Prof. Lars Gertenbach

 

Zeit: Mittwoch 3. DS

Beginn: 08.04.2020

Ort: FAL 232

 

Kurzbeschreibung

Die Soziologie hat sich in den letzten Jahren immer mehr als multiparadigmatisches Fach begriffen. Entsprechende Selbstbeschreibungen heben darauf ab, dass das Fach sowohl hinsichtlich der Theorieansätze als auch in Bezug auf methodische Zugänge hochgradig pluralistisch verfasst ist - und genau hierin eine wesentliche Stärke des Faches liegt.  Obwohl  diese Beschreibung nicht ganz unbegründet ist, gerät in der Betonung des pluralen Nebeneinanders verschiedener Theorien und Ansätze allerdings vorschnell aus dem Blick, dass das soziologische Denken in den letzten Jahrzehnten auch von weitreichenden Umbrüchen gekennzeichnet ist, die über die Differenzen verschiedener Schulen und Theorieansätze hinausweisen. Den Status eines derartig umfänglichen Paradigmenwechsels besitzt insbesondere der sogenannte Cultural Turn, dem spätestens seit den 1980er Jahren einen weitreichenden Einfluss auf die soziologische Forschung und die Theoriedebatte zugesprochen werden muss. In Anlehnung an den vor allem in der Philosophie ab den 1960er Jahren ausgerufenen Linguistic Turn betonen derartige kulturtheoretische Positionen die fundamentale "Kulturalität", also Kulturbezogenheit aller menschlicher Existenz. Für die Soziologie hat der seit den 1970er Jahren zu beobachtende Bedeutungsgewinn des Kulturbegriffs weitreichende Konsequenzen, weil dieser sich zunehmend als Gegenbegriff zu dem der Gesellschaft profiliert, der die Soziologie seit ihrer Entstehung geprägt hat.

Im Seminar soll diesem Verhältnis zwischen Soziologie und Cultural Turn an verschiedenen Positionen nachgespürt werden. Dabei geht es sowohl um Grundlagentexte der Kulturtheorien (bspw. Ernst Cassirer), um einzelne, besonders beispielhafte Theoriepositionen (bspw. Vilem Flusser, Jean Baudrillard) und um Auseinandersetzungen um das Verhältnis von Kultur- und Gesellschaftsbegriff (bspw. Friedrich Tenbruck). An ausgewählten Theorieansätzen soll dabei nachgezeichnet werden, wie über den Cultural Turn auch kulturwissenschaftliche Positionen in der Soziologie an Bedeutung gewonnen haben. Den Abschluss bilden schließlich neuere Diskussionen um die Begrenztheit des kulturtheoretischen Forschungsprogramms, die sich etwa als Kritik am Kulturalismus dieser Ansätze aus den Arbeiten von Bruno Latour und Philippe Descola ergeben haben.

 

Der genaue Seminarplan wird in der ersten Seminarstunde vorgestellt. Das Seminar ist offen für studentische Lektürewünsche. Vorschläge hierzu können gerne in der ersten Sitzung gemacht werden.

 

 

Zur Vorbereitung empfohlene Literatur:

Bachmann-Medick, Doris (2014). Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, 5. Aufl., Reinbek: Rowohlt.

Berking, Helmuth (2010). Kultur - Soziologie. Mode und Methode?, in: Frank, Sybille/Schwenk, Jochen (Hrsg.), Turn Over. Cultural Turns in der Soziologie, Frankfurt/New York: Campus, S. 23–42.

Reckwitz, Andreas (2008). Die Kontingenzperspektive der „Kultur“. Kulturbegriffe, Kulturtheorien und das kulturwissenschaftliche Forschungsprogramm, in: Reckwitz, Andreas (Hrsg.), Unscharfe Grenzen. Perspektiven der Kultursoziologie, Bielefeld: Transcript, S. 15–45.