Prof. Böhm: HS "Récits d‘enfance des 19./20. Jahrhunderts"
Von Annie Ernaux‘ autobiographischen, der Sozialanalyse nahestehenden ‚Bildungsromanen‘ über Daniel Pennacs märchenhaft-multikulturelle Sündenbock-Saga oder Agota Kristofs karge Überlebensberichte eines Zwillingspaares bis hin zu Véronique Olmis Beschreibung des verdrehten Verantwortungsverhältnisses zwischen einem eifrigen Schuljungen und seiner antriebslosen Mutter: Auffallend häufig wird im französischen Gegenwartsroman das in Auflösung befindliche Sozialsystem Familie zum Thema gemacht. Das Thema „Kindheit“ wird aber bereits früher von Schriftsteller/inne/n behandelt, etwa am Ende des 19. Jahrhunderts von Alphonse Daudet (Le Petit Chose, 1868) und Jules Vallès (L‘Enfant, 1877-81) oder in den 1970er bzw. 1980er Jahren von Georges Perec (W ou le souvenir d‘enfance, 1975) und Nathalie Sarraute (Enfance, 1983). All diese Texte erzählen nicht nur „l‘histoire d‘un enfant […] ou la tranche de la vie d‘un enfant“ (Escarpit 1993: 24), sondern stehen tendenziell für weitere Schwerpunktthemen: dazu gehört die Frage nach dem richtigen Umgang mit einer als belastend empfundenen Realität ebenso wie das Problem der Kommunikationslosigkeit und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Nach gattungstheoretischen Überlegungen werden im Seminar ausgewählte récits d‘enfance gemeinsam gelesen und analysiert; ein Referate-Slam am Ende des Semesters bietet die Möglichkeit, weitere Texte (kurz) vorzustellen. Bei Interesse gilt eine Sitzung der literaturdidaktischen, anwendungsbezogenen Umsetzung für den Schulunterricht.
Voraussetzungen: Bereitschaft zur regelmäßigen, aktiven Teilnahme und zur Lektüre.
Zur Einführung: Lektüre eines oder mehrere récits d‘enfance (au choix): Alphonse Daudet, Le Petit Chose (1868), Jules Vallès, L‘Enfant (1877-81), Nathalie Sarraute, Enfance (1983), Patrick Modiano, Remise de peine (1988), Annie Ernaux, La Honte (1997), Daniel Pennac, Messieurs les enfants (1997), Amélie Nothomb, Métaphysique des tubes (2000), Véronique Olmi, Bord de mer (2001). Vorschläge von Ihrer Seite sind willkommen!