Theorietheorie oder: Wie ich lernte, in einem einzigen Semester hundert Jahre Text zu verschlingen

TU Dresden | Wintersemester 2019 / 2020 Theorietheorie oder: Wie ich lernte, in einem einzigen Semester hundert Jahre Text zu verschlingen

Ich hab da so 'ne Theorie: Die Welt um uns herum macht keinen Sinn, ebensowenig 'das Leben'. Um uns darin zurechtzufinden, sehen wir uns tagtäglich dazu gezwungen, mehr oder minder selbständig Ordnung in die kaleidoskopische Erfahrung der chaotischen Wirklichkeit zu bringen – wir sind also unentwegt damit konfrontiert, aus dem unbeschreiblichen Wirrwarr des Daseins so etwas Ähnliches wie Kausalität, Kohärenz und Bedeutung zu destillieren. Bei diesen auf Verstehen abzielenden Sinngebungsoperationen bedienen wir uns verschiedener bewusster und unbewusster Praktiken, die allerdings unvermeidlicherweise immer schon semiotisch konfiguriert und damit einer sprachwissenschaftlichen Analyse zugänglich sind.

Im Seminar werden wir uns zunächst fragen, was Theorien überhaupt sind, wie sie funktionieren, wofür wir sie brauchen und warum sich vorgeblich theoriefreie Räume besonders gut dazu eignen, unausgesprochene Präprämissen und Vorvoraussetzungen aufzudecken. Mit Rückgriff auf klassische Theorietexte des 20. und 21. Jahrhunderts verfolgen wir dann vor allem drei Ziele: Wir wollen a) einen groben Überblick über wesentliche Begriffe und Konzepte der neueren und neuesten Geistesgeschichte bekommen, b) die Theorien nach ihren impliziten und expliziten Vorstellungen über den Zusammenhang zwischen dem Menschen und seiner Sprachlichkeit befragen und c) aus einer linguistischen und metatheoretischen Perspektive die 'Gemachtheit' der Theorien thematisieren, um ihre versteckten und uneingestandenen Implikationen durchschaubar zu machen.

Wir werden somit einerseits mit spöttischem Grinsen das Klischee bedienen, in der Germanistik werde nur weltfremd über Dinge geredet, die mit der sogenannten 'echten Welt' nichts zu tun hätten. Andererseits werden wir uns in offenen Seminardiskussionen ganz ernstiglichst fragen, ob und was das denn bitte mit unserer eigenen Lebensrealität zu tun hat. Nicht zuletzt wollen wir dem längst vergangenen Zeitgefühl des Hedonismus nachspüren, mit den Theorien also jede Menge Spaß haben und unsere very own Theorietheorien darüber spinnen.

Jede_r Teilnehmer_in sollte zur Übernahme eines Referats bereit sein, in dem ein Theorieklassiker vorgestellt wird. Wir werden uns an folgendem Fundus kanonischer Texte bedienen, der aber je nach Interessenslage der Teilnehmer_innen verändert und/oder erweitert werden kann:

Ludwig Wittgenstein - Tractatus logico-philosophicus (1921)
Ludwik Fleck – Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache (1935)
Norbert Elias – Der Prozess der Zivilisation (1939)
Thomas S. Kuhn – Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (1962)
Roland Barthes – Elemente der Semiologie (1964)
Berger/Luckmann – Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit (1966)
Jacques Derrida – Grammatologie (1967)
Michel Foucault – Archäologie des Wissens (1969)
Umberto Eco – Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte (1973)
Edward Said – Orientalismus (1978)
bell hooks – Schwarze Frauen* und Feminismus (1981)
Niklas Luhmann – Soziale Systeme (1984)
Donna Haraway – Ein Manifest für Cyborgs (1984)
Gayatri Chakravorty Spivak – Can the subaltern speak? (1988)
Judith Butler – Das Unbehagen der Geschlechter (1990)
John S. Searle – Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit (1995)
Bruno Latour – Wir sind nie modern gewesen (1995)
Jurij Lotman – Die Innenwelt des Denkens (2000)
Terry Eagleton – After Theory (2003)
Mark Fisher – Gespenster meines Lebens (2014)
Slavoj Žižek – Was ist ein Ereignis? (2014)

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