Ringvorlesung: Der Mythos des Nationalen

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TU Dresden | Wintersemester 2024 / 2025 Ringvorlesung: Der Mythos des Nationalen

1999 veröffentliche Werner Hofmann seine Streitschrift "Wie deutsch ist die deutsche Kunst?", in der er das Nationale als Wesen und ästhetische Kategorie der deutschen Malerei zurückwies, denn Kunst findet als internationaler Austausch und in Polyphonie statt! Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Rückkehr des Nationalen erscheint Hofmanns Buchtitel in neuer Weise aktuell, birgt aber die Gefahr von rechtsnationalen Kräften fehlinterpretiert zu werden.

Fraglos steht die Kunst, die in den sich wandelnden Grenzen der deutschsprachigen Länder entstanden ist, seit ihren Anfängen in prägendem internationalem Austausch. Zudem wirkt bis in die frühe Neuzeit die Idee eines multinationalen „Heiligen römischen Reiches“ weiter, das erst 1806 aufhörte, zu existieren. Unter den europäischen Nationen ist das dezentral organisierte Deutschland ein „verspäteter“ Nachläufer. Das nationale Bewusstsein schärft sich durch die Folgen der Französischen Revolution und die Befreiung von der napoleonischen Herrschaft. Nach der Gründung des zweiten deutschen Kaiserreichs 1871 wird die nationale Identität zur radikalisierenden Setzung und bereits existierende Mythen in distinktiver Weise überhöht, die mit dem Dritten Reich in die Katastrophe führen.

Lässt sich vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung danach fragen, wo und wann das Deutsche in den Bildenden Künsten seinen Anfang nimmt und welche Merkmale es aufweist? Mit der Übersetzung der Bibel durch Martin Luther und der Abwendung von Rom tritt die Frage nach der besonderen Eigenart deutscher Sprache und zugleich der Kunst erstmals deutlich ins Bewusstsein. Künstler wie Albrecht Dürer, Hans Holbein oder Lucas Cranach entwickeln eine spezifische Vorstellung ihrer deutschen Identität und machen sich international einen Namen. Zugleich lebt die Kunst in Deutschland über Jahrhunderte von der Befruchtung durch ausländische Künstler und Künstlerinnen, von Jacopo de' Barbari über François de Cuvilliés bis Henry van de Velde und Norman Foster. Die historische Ansicht der Stadt Dresden schreibt sich durch die Veduten des Venezianers Bernardo Bellotto in das kollektive Gedächtnis ein. Im Zwanzigsten Jahrhundert unterliegen deutsche Künstlerinnen und Künstler von der "Brücke" bis zu Georg Baselitz zudem dem Einfluss afrikanischer oder ostasiatischer Kunst. Und gelten nicht umgekehrt deutsche Künstler und Künstlerinnen längst als Hauptvertreter der internationalen Kunstszene, denkt man nur an Anselm Kiefer, Gerhard Richter, Isa Genzken oder Hito Steyerl? Ist die Idee einer sinnstiftenden nationalen Identität also nicht ein irreführendes, ja gefährliches Phantasma? Gibt es sie überhaupt, "die" deutsche Kunst? Sicher ist, dass der Umgang mit dem, was typisch für eine Nation sein mag, ein differenziertes historisches Verständnis und eine kritische Kontextualisierung verlangt.

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