S: Der Einfluss des Bundesverfassungsgerichts auf die Außenpolitik
Mit den Worten „Er würde den ganzen Verfassungsgerichtshof
eigenständig in die Luft sprengen“ äußerte in
den 1950er Jahren der damalige Bundesjustizminister Thomas Dehler
seinen Unmut über die aus Sicht der Bundesregierung
unbotmäßige Einflussnahme des Bundesverfassungsgerichts auf
die Westpolitik der Bundesregierung. Kanz-ler Adenauer bezeichnete das
Gericht in anderem Zusammenhang sogar als „Diktator
Deutschlands“. Seitdem sind über 70 Entscheidungen durch
das Bundesverfassungsgericht ergangen, die sich mit Außenpolitik
im weitesten Sinne - worunter auch die Europapolitik als besonderer
Fall der Außenpolitik fällt - befassen. Heute
schließlich ist die Frage nach der Rolle des
Bundesverfassungsgerichts in der deutschen Außenpolitik
angesichts der unklaren Verfassungsmäßigkeit der
Maßnahmen zur Bewältigung der europäischen
Schuldenkrise so aktuell wie nie.
Wie in den Eingangszitaten aus
der Gründungszeit der Bundesrepublik angedeutet, stellt sich seit
jeher bei Gerichtsentscheidungen mit außenpolitischem Bezug die
Frage, inwieweit das Bundesverfassungsgericht, dessen originäre
Aufgabe es ist, Recht zu sprechen, auf die Politischste aller
Politiken – die Außenpolitik, Einfluss nehmen darf. Denn
eine politische Einflussnahme ist nach der grundgesetzlichen
Kompetenzordnung der auswärtigen Gewalt nicht vorgesehen.
Hiernach ist die Außenpolitik grundsätzlich die Domäne
der Exekutive und allenfalls in bestimmten Situationen betreibt sie
diese zusammen mit dem Parlament als kombinierte Gewalt. Doch in der
Realität verfassungsgerichtlicher Entscheidungen scheinen sich
diese Grundsätze zunehmend aufzulösen. So haben rechtliche
Vorgaben des Gerichts immer öfter außenpolitische
Auswirkungen. Mehr und mehr scheint das Gericht dadurch aus einer
Rolle des rechtlichen Kontrolleurs der auswärtigen Gewalt in eine
Rolle des außenpolitischen Akteurs zu verfallen.
Anhand der
Untersuchung zentraler Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
zur Außen- und Europapolitik soll im Seminar der Frage
nachgegangen werden wie das Gericht Einfluss auf diese Politikbereiche
nimmt und welche Folgen dies für die Entscheidungsprozesse und
-inhalte deutscher Außenpolitik hat. Die Herangehensweise des
Seminars ist dabei interdisziplinär angelegt. So sollen die
Entscheidungen nicht nur juris-tisch untersucht, sondern auch in ihren
historisch-politischen Kontext eingeordnet wer-den. Am Ende soll die
Erarbeitung einer politikwissenschaftlichen Theorie zur Einfluss-nahme
des Bundesverfassungsgerichts auf die Außenpolitik
stehen.
Kenntnisse des Staats-, Europa- und Völkerrechts
sind für die Teilnahme am Seminar nicht zwingend erforderlich.
Sie werden bedarfsorientiert in den Sitzungen gemeinsam erarbeitet.