Die erfundene DDR - Zur filmischen Konstruktion eines Landes
Seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 sind unzählige Spielfilme entstanden, die das Leben in der DDR thematisieren. Die gewählten Genres und Perspektiven sind dabei so vielfältig wie die Zugänge der Filmemacher:innen und häufig auch durch den eigenen Erfahrungshorizont geprägt. Das Gleiche gilt für die oft disparate Rezeption der Filme, die sich an Beispielen wie Sonnenallee (1999) und Das Leben der Anderen (2006) exemplarisch nachvollziehen lässt. So wurde etwa Leander Haußmann einerseits für seinen unbeschwerten und komödiantischen Blick auf eine Jugend im Schatten der Berliner Mauer gefeiert, sah sich andererseits aber auch der Kritik ausgesetzt, den „Überwachungsstaat“ DDR zu verharmlosen. Dagegen wurde Florian Henckel von Donnersmarcks Stasi-Thriller national und international gefeiert und mit dem Oscar für den „Besten fremdsprachigen Film“ prämiert. Kritik an Das Leben der Anderen kam indes aus jenen Künstlerkreisen, deren Porträt der Regisseur eigentlich hatte zeichnen wollen. So urteilte der von Henckel von Donnersmarck im Vorfeld konsultierte Christoph Hein rückblickend, der Film beschreibe keineswegs die Achtzigerjahre in der DDR, vielmehr handle es sich um ein „Gruselmärchen, das in einem sagenhaften Land spielt, vergleichbar mit Tolkiens Mittelerde“ (Gegenlauschangriff, Berlin 2019, S. 104).
Mit der Feststellung des Schriftstellers sind zentrale Fragen verknüpft: Wie ist es möglich, sich einem nicht mehr existierenden Staat adäquat im Medium des Spielfilms zu nähern? Inwiefern gehen solche Auseinandersetzungen zwangsläufig mit einer (Neu‑)Erfindung und (Re-)Konstruktion einher und wem kommt es zu, im Nachgang über die Qualität und Angemessenheit der Stoffe, Schauplätze und Charakterisierungen zu urteilen?
Im Verlauf des Seminars soll die Gestaltung und Konzeption vorwiegend retrospektiver DDR- und Wende-Filme anhand ausgewählter Beispiele näher untersucht werden. Vorrangiges Ziel der Lehrveranstaltung ist es, typische Motive, Erzählmuster und Charakterisierungen herauszuarbeiten und kritisch zu hinterfragen. Neben den bereits genannten Filmen werden unter anderem Werke von Regisseur:innen wie Andreas Dresen, Caroline Bille Eltringham, Wolfgang Becker, Michael Herbig, Aelrun Goette und Emily Atef im Fokus stehen. Darüber hinaus sollen aktuelle Ansätze, die das Thema des ‚Othering‘ im Kontext der DDR und der Nachwendegesellschaft verhandeln, in die Diskussion einfließen. Hierzu zählen insbesondere Naika Foroutans und Jana Hensels „Die Gesellschaft der Anderen“ (Berlin 2020) und Dirk Oschmanns „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ (Berlin 2022).
Das Seminar steht neben Masterstudierenden auch interessierten Bachelorstudierenden offen. Die Bereitschaft zur Übernahme eines Referats, zur Sichtung der behandelten Filme und zur Lektüre begleitender Texte wird vorausgesetzt. Die Einschreibung ist über OPAL möglich. Die Vergabe der Referatsthemen erfolgt in der ersten Sitzung am 13.04.