Hauptseminar: Kant und der Teufel - der Teufel und Kant

TU Dresden | semesterübergreifend Hauptseminar: Kant und der Teufel - der Teufel und Kant

Kant lehnt in seiner praktischen Philosophie aus guten Gründen das Konzept einer  indifferenten moralischen Freiheit ab. Dies beinhaltet jedoch zwangsläufig eine oft (z.B. von Reinhold oder Gerold Prauss) kritisierte Janusköpfigkeit des Sittengesetzes. Dieses wird nämlich von Kant zugleich als Form der Maxime des Willens jeder autonomen Tat sowie auch als Form der spezifischen Maxime des Willens der guten Tat exponiert. Das Sittengesetz formt somit einerseits nicht nur die gute, sondern auch die böse Tat, sollen beide ‚Tatmodi‘ autonom vollzogen werden können. Andererseits soll eine vom Sittengesetz und dessen Motivation geformte Maxime Privileg der guten Tat sein. In der ‚Religionsschrift‘ versucht Kant beide Aspekte zu einem Ausgleich zu bringen. Hierbei kann der Teufel als Erläuterungsmodell dienen. Luzifer anerkennt grundsätzlich die gesamte moralische und ontologische Ordnung, lehnt sie aber dennoch vollumfänglich nur aus dem einen Grunde heraus ab, weil sie nicht von ihm erlassen worden ist. Er setzt also sein individuelles Sein als Substitut an die Stelle der gesamten göttlichen Weltordnung – und wird deshalb in die Hölle verbannt.  Wenn der Mensch zu teuflischem Bösen fähig sein könnte, müsste er also auch dazu in der Lage sein, in seinen Taten und in seinem Wollen die gesamte moralische Ordnung abzulehnen. In Kants Terminologie gewendet, heißt dies: Der Mensch müsste dazu fähig sein, durchgängig gegen die Sollensgebote des Kategorischen Imperativs aus keinem anderen Grund heraus als dem zu verstoßen, weil diese Sollensgebote Gebote des Kategorischen Imperatives sind. Kant lehrt dagegen nun aber in der Religionsschrift, dass der Mensch nur deshalb überhaupt böse handeln kann, weil er das  Sittengesetz ausschließlich um der Geltung des Sittengesetzes  selbst willen anerkennen muss, um es hierdurch für eine Ausnahme in spezifischen Situationen instrumentieren (pervertieren) zu können. Der Mensch „genehmigt“ sich selbst also eine Ausnahme von der prinzipiell gewollten und anerkannten moralischen Ordnung, Satan höchstselbst  lehnt dagegen diese gesamte moralische Ordnung rundweg ab. Etwas paradox formuliert, heißt dies, dass kein Mensch das Sittengesetz ausschließlich NUR als Instrument/Mittel für seine privaten Weltzwecke wollen kann, wenn er es überhaupt für einen privaten Weltzweck „in Form einer Ausnahme“ instrumentieren können will. In der bösen menschlichen Tat wird also die reine Form des Sittengesetzes, die nach Kant vorgängig durch keine materialen Weltzwecke bestimmt sein darf, im Sinne einer Ausnahme gerade für einen Weltzweck als Mittel pervertiert. Kant führt als Beispiel den schlauen Kaufmann an, der seine Kunden nur deshalb nicht betrügt, damit der schlechte Ruf nicht Geschäfte dieses Kaufmanns verdirbt. Der schlaue Kaufmann instrumentiert also die Universalität der Gesetzesform des Sittengesetzes für seine spezifischen Weltzwecke - und besitzt damit eine böse Gesinnung. Dennoch muss auch der "schlaue Kaufmann" nach Kant die "zweckfreie" universale Form des Sittengesetzes anerkennen, wenn er diese überhaupt pervertieren können will. ,Nach Kant werden eine teuflisch-böse Handlung und eine gute Handlung nun pikanterweise durch haargenau dieselben Gründe verunmöglicht. Die Maxime einer Handlung ist nur dann wirklich gut, wenn sie nur umwillen des Sittengesetzes vollzogen wird und nur durch das Sittengesetz motiviert ist. Jedes Motiv außer der Achtung vor dem Gesetz macht die Handlung zu einer bloß „legalen Handlung“. Der teuflisch Böse wiederum müsste gegen das Sittengesetz nur aus dem Grund (=Motiv) heraus handeln und verstoßen können, weil seine Handlung gegen das Sittengesetz verstößt. Eine andere Motivation dürfte eine teuflisch böse Handlung nicht aufweisen. Erfolgte dieser Verstoß auch nur aufgrund einer kleinen Prise Eigennutzes, also aus anderen Gründen als dem „Umwillen des Verstoßens gegen das Sittengesetz“, wäre dieser Verstoß schon nicht mehr teuflisch böse. Ein Verstoß gegen das Sittengesetz, nur um seinem Privatinteresse zu folgen (z.B. Veruntreuung), ist mitnichten teuflisch böse, sondern nur „menschlich“ böse. Die identischen Motivationskriterien verhindern es gleichermaßen, dass eine Handlung gut oder auch teuflisch böse sein kann. Allerdings liegt nach Kant hier eine Asymmetrie bezogen auf diese Motivation vor. Das Motiv einer guten Handlung ist die Achtung vor dem Gesetz, die von diesem durch „Demütigung“ der Neigungen des moralischen Subjekts bewirkt wird. Das Motiv einer teuflisch-bösen Handlung müsste somit in einer grundsätzlichen Missachtung des Sittengesetzes bestehen. Genau diese Missachtung müsste weiterhin ‚irgendwie‘ von diesem Sittengesetz quasi selbst initiiert werden, damit die Handlung überhaupt als teuflisch böse einem autonomen Subjekt zugeschrieben werden kann. Denn nur das Sittengesetzes kann ja Autonomie und damit Zurechenbarkeit  der Tat stiften. Eine solche negative Selbstmotivationsbeziehung des Sittengesetzes ist aber erkennbar ausgeschlossen. Missachtung des Sittengesetzes ist damit (wie die Neigungen oder die Privatinteressen des Menschen) nur eine jener Motivationen, welche unabhängig vom Sittengesetz vom menschlichen Subjekt gehabt werden. Somit kann das menschliche Subjekt niemals aus Prinzip teuflisch gegen das Sittengesetz handeln.

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