2024-10_Blockseminar: Kunst + Soziologie
Seit sich das offene Kunstwerk (Eco 1973) zu einer relationalen Ästhetik (Bourriaud 2002), die das Soziale thematisiert und soziale Beziehungen stiften soll, entwickelt hat, stellt sich mehr denn je die Frage, wie das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Kunst zu beschreiben ist. Der Rätselcharakter des Kunstwerks (Adorno), welcher in seiner theoretischen Modellierung die Konzentration auf einen exemplarischen und singulären Rezipienten erfordert, franst mit einer relationalen Ästhetik, wie sie die Gegenwartskunst auszeichnet (Rebentisch 2014), in die soziale Situation aus. Im Happening, in der Performance oder Installations-Kunst wird Kunst plötzlich unbestimmt, sie löst sich vom konkreten materiellen Gegenstand und verlagert sich in einen Moment der Teilhabe oder sozialen Interaktion. Sie ist instantan, flüssig, entgrenzt und fordert klassische Beschreibungsmodelle der philosophischen Ästhetik ebenso heraus wie sie Kunsthistorik als historische Disziplin vor ihre Grenzen stellt. Die Tendenz der relationalen Ästhetik lässt sich zwar noch historisieren, ihre Verquickung mit anderen Funktionssystemen (Reckwitz 2012), die damit einhergehende Delokalisierung – Gegenwartskunst findet sich nicht mehr primär im Museum, in der Galerie oder auf großen Kunstmessen, sondern im öffentlichen (analogen wie digitalen) Raum – wirft Fragen auf, die nach einem interdisziplinären Zugriff verlangen, insbesondere aber die Expertise der Soziologie adressieren.
Kunstsoziologische Ansätze, die sich von Fragen einer philosophischen Ästhetik (das heißt dem Zusammenhang vom Wahren, Guten und Schönen) absetzen und erstmals nach dem Zusammenhang von Ästhetik und Gesellschaft fragen, sind mit einer großen Konjunktur insbesondere seit Anfang des 20. Jahrhunderts zu verzeichnen. Zu vermuten wäre, dass hier die „transzendentale Obdachlosigkeit“, die Lukács 1914 in seiner Theorie des Romans konstatiert, die Kunst als gleichwertiges Sinnstiftungsmodell neben Religion, Politik oder Wissenschaft etc., treten lässt. Wonach diese mit Manifesten und gezielten Aktionen im öffentlichen Raum auch beginnt, sich als solche selbst zu definieren und zu reflektieren.
Das Verhältnis von Soziologie und Kunst war dabei immer zwiespältig: Leopold von Wiese gestand der Kunst 1930 im Rahmen seiner Verbindungslehre zwar zu, verbindend zwischen Menschen zu wirken, beklagte aber in der Nachkriegszeit die Tendenz der modernen Kunst, dieses Potential absichtlich brachliegen zu lassen.
Eine zweite Welle der sozialen Intervention der Kunst lässt sich ab den 50er Jahren mit der Pop Art konstatieren. Die soziologische Reflexion reagiert eigentümlich stumm auf den konsumintegrierenden Gestus der Kunst (bspw. Andy Warhols).
Mit der Beschreibung von Kunst als eines Funktionssystems in der Systemtheorie, vor allem aber den neueren Zweifeln an der Reichweite der funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft von Seiten der Praxistheorien gerät auch die Frage nach dem Ort der Kunst von neuem in den Fokus: wenn Kreativitätspraktiken sich laut Andreas Reckwitz bis weit in die Wirtschaft ausbreiten, muss die alte Frage nach der Autonomie von Kunst (Adorno u.a.) umgedreht werden. Sie lautet dann nicht mehr: was bleibt von der Kunst, wenn alles Gesellschaft ist, sondern: was bleibt noch von der Kunst, wenn alles Kunst ist?
Im Seminar wollen wir dem Verhältnis von Kunst und (Kunst)Soziologie an diesen drei Schwellen nachgehen und die theoretischen Texte mit ihnen zeitgenössischer Kunst konfrontieren. Das Seminar findet als Blockseminar vom 7.-9. Oktober statt, jeweils von 10-18h, an einem der Tage ist eine Exkursion (in eines der Dresdner Museen) geplant. Das Seminar wird gleichzeitig in der Soziologie und Germanistik ausgeschrieben. Da die Teilnahme eine zuverlässige Vorbereitung, die Übernahme von Impulsreferaten und die exzessive Hingabe an theoretische Texte wie an moderne Kunst verlangt, bitten wir um ein 1seitiges Exposé, auf dem Sie bitte Ihr konkretes Interesse (evtl. an einem Beispiel, etwa die Herausforderung eines bestimmten Kunst,werks‘ oder eines theoretischen Zugangs problematisieren) schildern.
Auf der Grundlage der Exposés entscheiden wir, wer am Seminar teilnehmen wird. Eine Informationsveranstaltung sowie Vorbesprechung findet am 21. Juli, 16:40h (Raum 101, Wiener Straße 48) statt. Die Exposés sind bis zum 1.09. per Mail einzureichen an: