Künstler, Sammler, Cittadini. Das bürgerliche Porträt im Italien des Cinquecento
Im Zuge der Renaissance erlebte auch die europäische Porträtkunst einen Neubeginn. Es entstanden Bilder identifizierbarer Männer und Frauen in diversen Medien und für die unterschiedlichsten Räume und Gebrauchskontexte. Zeitgleich begann eine intensive theoretische Reflexion dieser Bildgattung. Eruiert wurden Fragen nach der Porträtwürdigkeit von Personen, nach den Funktionen der Bildnismalerei sowie nach Wiedererkennbarkeit und Lebendigkeit der im Bild verewigten Gesichter.
Einen ersten Kulminationspunkt erreichte die Entwicklung im Italien des Cinquecento: Die Bildformate wurden größer, Porträtausschnitte und Haltungen diverser, Bildraum und Betrachterbezug komplexer. Gleichzeitig erweiterte sich der Personenkreis der Porträtierten. Zwar existierten bereits im 15. Jahrhundert neben dem klassischen Herrscherporträt und den uomini illustri-Darstellungen sogenannte Privatbildnisse. Doch erlaubte nunmehr eine Fülle neuer Rollenmuster, vom Kaufmann, Gelehrten, Sammler und Diplomaten bis hin zum Künstler, eine selbstbewusste Repräsentation, ohne mit dem Dekorum des Standesporträts in Konflikt zu geraten.
Vor allem in Venedig hatte sich früh eine Bürgerschaft, die cittadinanza, ausgebildet, die wie ein „paralleler, niederer Adel“ auftrat und eine wichtige Gruppe von Auftraggebern darstellte. Rasch war die Lagunenstadt zu einem Zentrum der neuen Porträtkunst geworden. Hier arbeiteten Künstler wie Giorgione, Tizian und Lorenzo Lotto, die in Anknüpfung an die Bellinis und an Antonella da Messina neue Positionen und Formulare der Bildnismalerei entwickelten, die den oberitalienischen Kunstraum stark prägen sollten. Befördert wurde die Ausbildung innovativer Bildlösungen durch eine intensive Rezeption niederländischer und deutscher Kunstwerke, die in der Handelsmetropole zirkulierten.
Im Seminar wollen wir uns gemeinsam diesem wichtigen Entwicklungsmoment europäischer Porträtkunst annähern: Was kann und soll ein Porträt mitteilen? In welchen räumlichen und funktionalen Kontexten erscheint es? Welche Bildpoetik war der oberitalienischen Porträtkunst des Cinquecento zu eigen? Neben der Erweiterung des Fachwissens steht der Erwerb von Methodenkompetenz im Fokus. Das Seminar will einen Einblick in porträtspezifische Forschungsfragen und -strategien vermitteln und so Wege im Umgang mit dieser kunst- wie kulturgeschichtlich relevanten Bildgattung aufzeigen. Vorausgesetzt werden die regelmäßige und aktive Teilnahme sowie die Bereitschaft zur Übernahme eines Impulsreferats.
Einführende Literatur
Campbell, Lorne [u. a.] (Hgg.): Die Porträtkunst der Renaissance. Van Eyck, Dürer, Tizian… (Ausst.-Kat., London, National Gallery), Stuttgart 2008.
Humfrey, Peter: Das Portrait im Venedig des 15. Jahrhunderts, in: Keith Christiansen und Stefan Weppelmann (Hgg.): Gesichter der Renaissance. Meisterwerke italienischer Portrait-Kunst (Ausst.-Kat., Berlin, Gemäldegalerie), Berlin 2011, S. 48-63.
Larsson, Lars Olof: „… Nur die Stimme fehlt!“. Porträt und Rhetorik in der Frühen Neuzeit, Kiel 2012.