Lernen durch Filmen oder die Kunst der Theorievermittlung

Für die einen ist es die naheliegende Verbindung von Theorie und Praxis, für die anderen die Förderung von Fachkompetenzen durch Reduktion: Unsere Tandemfellows Prof. Dr. Dieter Daniels und Juliane Jaschnow von der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig einerseits und Prof. Dr. André Schneider und Prof. Dr. Thoralf Gebel von der Hochschule Mittweida andererseits möchten ihre Studierenden selbst Videos erstellen lassen, um somit den Erwerb von Medienkompetenz und Präsentationsfähigkeiten zu unterstützen. Wie sie dabei vorgehen, welche didaktischen Ziele sie erreichen wollen und was sie von den Studierenden erwarten, berichten sie im Interview.

Welche Art von Videos sollen in Ihrem Fellowship entstehen?

Frau Jaschnow und Prof. Daniels: So genannte „TheorieVideos“, die eigenständige, theoriebasierte Inhalte in ein audiovisuelles Medium überführen. Im Kontext des Studiums an der HGB werden sie als vollwertige Prüfungsleistungen anerkannt (anstelle eines mündlichen bzw. schriftlichen Referats). Die Form richtet sich dabei nach den jeweiligen Inhalten und wird von den Studierenden eigenständig entwickelt.
Dieses Zusammenspiel von Form und Inhalt unterscheidet die „TheorieVideos“ von der „klassischen“, relativ standardisierten Theorieleistung eines mündlichen oder schriftlichen Referats. Insofern ist dieses neue Format zugeschnitten auf die spezifischen Potentiale der Studierenden an einer Kunsthochschule und eröffnet diesen die Möglichkeit ihre gestalterische Kreativität auf theoretische Themenfelder zu erweitern. Oftmals entstehen auch für die Dozierenden im positiven Sinne überraschende Lösungen. In methodischer Hinsicht ergeben sich daraus spannende neue Fragestellung. Beispielsweise kann sich die im akademischen Feld erwartete Distanz von Theorie zu ihrem Gegenstand reduzieren, indem die Gestaltung eines Videos zum Teil der inhaltlichen Aussage wird. Durch innovative videobasierte Lösungen lassen sich theoretische Themen jenseits von Sprache auf einer sinnlichen und emotionalen Ebene vermitteln. Das zu jedem „TheorieVideo“ gehörende Skript garantiert dabei, dass die wissenschaftlichen Standards gewahrt bleiben.

Prof. Schneider & Prof. Gebel: Es entstehen durch die Studierenden sogenannte Legetechnikfilme. Mit Hilfe dieser Lege- bzw. Flachfigurentechnik wird der gesprochene Text durch handgezeichnete oder gedruckte Papierausschnitte, die mit Hilfe der Hände in das Bild hineingelegt, verschoben und hinausgenommen werden, oft auf sehr einfache, symbolische Weise illustriert. Die bewegten Papierobjekte werden dabei auf einem flachen, meist weißen Hintergrund abgefilmt und anschließend mit einem gesprochenen Text hinterlegt.

Wie begleiten Sie die Studierenden bei der Erstellung der Videos?

Frau Jaschnow und Prof. Daniels: Die Videos entstehen mit Bezug auf die Themenstellung des Seminars. Als Ausgangsbasis wird eine Literaturliste zur Verfügung gestellt. Die weiteren von den Dozierenden begleiteten Arbeitsschritte sind: Erstellung eines Skripts, Entwicklung eines audiovisuellen Konzepts, Rohschnittbesprechungen und Abschlusspräsentation.
Ein wichtiger Zusatzfaktor liegt in der Interaktion unter den Studierenden: während der Erarbeitung der Videos können sie sich über die Zwischenstufen der Kommilitonen informieren und sich wechselseitig inspirieren. Wir haben dies als „digitales Atelier“ bezeichnet (siehe unten) insofern im Format der „TheorieVideos“ eine Erweiterung theoretischen Arbeitens im prozessbasierten Austausch möglich wird.

Prof. Schneider & Prof. Gebel: Um die Lernpotenziale von Erfahrungsräumen auszuschöpfen, bedarf es natürlich einer pädagogischen Absicherung und Unterstützung. Der Umgang mit dem Ansatz „Lernen durch Filmen“ muss nicht nur im Hinblick auf die Ziele und Inhalte der jeweiligen Module, sondern auch im Hinblick auf die Entdeckung und Erweiterung der Kompetenzen der einzelnen Teilnehmenden reflektiert werden. Neben unterstützenden Instrumenten und Werkzeugen (z. B. Workshop zur Einführung in die Methode der Legetechnik, Methodenkoffer mit Flachfigurenvorlagen, Selbstlernkurs auf der Bildungsplattform OPAL) bedarf es auch entsprechender Freiräume für das Lernen. Damit verändert sich auch die Rolle des Lehrenden in Richtung eines Moderators, Beraters und Coachs dieser Lernprozesse. Für diese Beratung und Begleitung sind ebenfalls entsprechende Instrumente entwickelt worden, die eine Reflexion unterstützen. Hierzu gehören beispielsweise ein Leitfaden für ein Gespräch zur Reflexion, ein Fragebogen zur Unterstützung der Selbstreflexion, ein Lerntagebuch und eine Kompetenzdiagnose.
In dem Vorhaben spielt in den Reflexionsphasen zu den Projektfortschritten, individuellen Kompetenzen sowie Stärken und Potentialen der Studierenden das interpersonale Vertrauen in der Lehrer-Studenten-Interaktion eine bedeutende Rolle. Während des gesamten Filmprojektes sollten die Studierenden nie das Gefühl haben, mit ihrer Situation allein gelassen zu werden. Deshalb begleitet ein Dozententeam das FilmUP-Vorhaben, wobei eine Trennung zwischen der Rolle eines benotenden Dozenten, der die ergebnisorientierten und fachlichen Lernziele überblickt und eines coachenden und begleitenden Dozenten, der die Entwicklung der Handlungskompetenzen durch die Reflexionsphasen im Blick hat, erfolgt.

Was denken Sie, werden die Studierenden bei der Erstellung der Videos lernen?

Frau Jaschnow und Prof. Daniels: Das Vermitteln komplexer Zusammenhänge in einem selbst gestalteten audiovisuellen Format. Die Studierenden sind zugleich Produzent:innen und Rezipient:innen und auf diese Weise motiviert nicht nur Videoinhalte zu konsumieren, sondern das Medium aktiv und medienreflexiv einzusetzen. Die im Fachstudium erworbene, gestalterische digitale Kompetenz kann so für die fachübergreifende Theorie-Lehre fruchtbar gemacht werden.

Prof. Schneider & Prof. Gebel: Durch den Erfahrungsraum „FilmUP“, soll den Studierenden ermöglicht werden, die in den Vorlesungen oder Seminaren zur Verfügung gestellten theoretischen und oftmals sehr abstrakten Wissensinhalte durch das selbstorganisierte „Lernen durch Filmen“ zu vertiefen, zu reflektieren, anzuwenden, zu adaptieren und auch weiterzuentwickeln. Insbesondere soll dieser didaktische Ansatz helfen, berufsfeldspezifische Fertigkeiten und Fähigkeiten in fachlicher und sozialer Hinsicht zu erwerben, die – bezogen auf die Ziele des jeweiligen Studienganges – in der Beherrschung und kreativen Anwendung von theorienorientiertem wirtschafts- und ingenieurwissenschaftlichem Fach- und Spezialwissen sowie den dazugehörenden digitalen Medien- und Präsentationstechniken liegen. Insgesamt werden durch die Filmprojekte nicht nur Fach-, Sozial- und Methodenkompetenzen gefördert, sondern auch die Abstraktionsfähigkeit der Studierenden trainiert.
Durch die Interaktion mit Kommilitonen bei der Auswertung und Diskussionen zu deren Lehrvideos wird zudem der Austausch von Hinweisen und Kritik gefördert, was wiederum zur Förderung der Reflexion der eigenen Arbeit und damit einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess anregt. Insbesondere die Frage, ob dann von den Adressaten der Lehrvideos Inhalte und Abläufe so verstanden werden, wie beabsichtigt, kann einen signifikanten Beitrag zum besseren Verständnis der Wirkung der eigenen Arbeit leisten.

Wie werden Sie die Arbeitsergebnisse der Studierenden bewertet? Welche Kriterien sind Ihnen dabei besonders wichtig?

Frau Jaschnow und Prof. Daniels: Für die Kombination von Skript und TheorieVideo erhalten die Studierenden einen sogenannten Leistungsnachweis (ohne Benotung) für das Modul Kunstgeschichte und Medientheorie. Wichtig ist die Kombination gestalterischer Eigenständigkeit mit korrekten wissenschaftlichen Grundlagen (Skript, Quellennachweis im Abspann usw.).

Prof. Schneider & Prof. Gebel: Eine Bewertung erfolgt auf Prozess- und Ergebnisebene der Filmprojekte. Bei der Präsentation der Ergebnisse der Projekte wird insbesondere Wert auf die korrekte Darstellung der Fachinhalte in den Erklärfilmen gelegt. Weiterhin wird die Kreativität hinsichtlich des Storytellings bewertet und die Fähigkeit die Themenstellung auf das Wesentliche innerhalb der zur Verfügung gestellten Filmdauer reduzieren zu können. Die Aufnahmequalität (Bild, Top) der Filme wir jedoch nicht bewertet, da dies stark von der eingesetzten Hard- und Software abhängt. Ergänzend zur Präsentation der Filme erfolgt eine Diskussion mit dem studentischen Filmteam über die entsprechenden bearbeiteten fachlichen Themenkomplexe. Auf der Prozessebene erfolgt eine Bewertung der Arbeitsergebnisse in Form einer Einstiegs-, Zwischen- und Abschlussreflexion, um die Herausforderungen des Erfahrungsraums „FilmUP“ bewusst für die Studierenden erlebbar zu gestalten und den Lernprozess zu reflektieren. Damit ermöglicht diese Prozessreflexion den Lernenden, sich selbst ihrer Stärken, den gemeisterten Herausforderungen und der eigenen Selbstwirksamkeit bewusst zu werden.

Wie ist die Erstellung der Videos in das Gesamtkonzept Ihrer Lehrveranstaltungen eingebunden?

Frau Jaschnow und Prof. Daniels: Die TheorieVideos stellen ein Präsentations- und Vermittlungsformat dar, für welches sich die Studierenden zu Beginn der Veranstaltung entscheiden können. Die Dozierenden stellen video- und themenbezogene “Prototypen der Wissensvermittlung” anhand von Beispielen vor und führen so in das Format “TheorieVideo” ein. Die Teilnehmenden konzipieren und produzieren im Verlauf des Seminars ihre eigenständigen Videobeiträge auf Basis eines mit den Dozierenden abgestimmten inhaltlichen Skripts. Im Dialog werden das Themenfeld und die themenbezogenen Umsetzungsmöglichkeiten des Formats ausgelotet. Der Austausch zwischen den Studierenden und Dozierenden begleitet die mehrstufige Erarbeitung der „TheorieVideos“ (Skript/ Rohschnitt/Finalisierung) in einem gemeinsamen Datenraum. In diesem Datenraum sind die Entwicklungsstufen der Videos und Thesenpapiere für alle Teilnehmenden online einsehbar. Damit eröffnet sich die Situation eines „digitalen Ateliers“ als kollaborative Erweiterung des konventionellen, solitären Arbeitens an Theorietexten. Zur Betreuung der Entwicklungsschritte erfolgen regelmäßige Feedbackgespräche mit den beiden Dozierenden in der interdisziplinären Tandem-Fellowship Konstellation. Diese hybride adaptive Struktur macht ein zeitlich und örtlich flexibles Mentoring möglich (per Videokonferenz/ mit Präsenzanteilen/ begleitender interaktiver Unterstützung). Im Seminar werden die fertigen „TheorieVideos“ und Skripte hinsichtlich der Inhalte und Inhalt-Form-Beziehung vorgestellt und diskutiert. Die Ergebnisse werden archiviert und im Projektverlauf soll eine stetig wachsende Open Access Datenbank entstehen.

Prof. Schneider & Prof. Gebel: Das FilmUp-Konzept kann sehr gut in Module des Wirtschaftsingenieurwesens integriert werden, da insbesondere komplexe, abstrakte Zusammenhänge (z.B. Verfahren, Modelle, Theorien) durch die Erstellung der Legetechnikfilme durch die Studierenden erarbeitet werden können. So kann der Ansatz beispielsweise beim Einstieg oder der Vertiefung in einen Themenkomplex helfen, Abläufe, Prozesse und Strukturen darzustellen oder Inhalte auf eine prägnante und ansprechende Art zu vermitteln. In den Lehrveranstaltungen werden ausgewählte Lehrinhalte dabei durch die zu erstellenden studentischen Filme auf das Wesentliche reduziert und adäquat aufbereitet sowie über die Lehrplattform OPAL veröffentlicht, sodass alle Kursteilnehmenden anschließend den Stoff in einem Selbststudium vertiefen und in der Lehrveranstaltung diskutierend reflektieren können. Damit können möglichst viele anspruchsvolle Themenkomplexe durch die gebildeten Gruppen während der Lehrveranstaltungen präsentiert werden. Didaktisch ermöglicht die Methode eine intensive Auseinandersetzung mit dem Stoff, da aus komplexen ingenieur- und wirtschaftswissenschaftlichen Zusammenhängen eine Vereinfachung in Form einer Kurzgeschichte erfolgen muss. Diese Fokussierung auf das Wesentliche und die Verdichtung von Daten und Informationen stellt zudem gerade in der aktuellen Anwendung von Big Data in der Wirtschaft eine Schlüsselqualifikation für alle Studierenden dar.