Erstellung einer hochschulübergreifenden Materialsammlung und Erhöhung formativen Feedbacks im Mathe-Lehramtsstudium

Gleich zwei Tandem-Fellowships widmen sich der Zielgruppe der Lehramtsstudierenden im Fach Mathematik. Mit unterschiedlichen Herangehensweisen möchten sie das Selbstlernen ihrer Studierenden unterstützen und dabei vor allem die Schwierigkeiten der Studierenden mit dem anspruchsvollen Fach adressieren. Im Tandem-Fellowship von Prof. Dr. Birgit Brandt von den TU Chemnitz und Dr. Susanne Wöller von der TU Dresden soll eine hochschulübergreifende Materialsammlung für Studierende des Grundschullehramts entstehen und an den Standorten Dresden, Leipzig und Chemnitz so zur Verfügung gestellt werden, dass unterschiedliche Lerntypen und unterschiedliches Vorwissen der Studierenden durch die Vielfalt an Materialien bestmöglich unterstützt werden können. Das Tandem-Fellowship von Prof. Andrea Hoffkamp und Dr. Christian Zschalig von der TU Dresden entwickelt ein Inverted- bzw. Flipped-Classroom-Konzept mit aktivierenden Video-Tutorials sowie E-Test-Aufgaben für ein lernwirksames Feedback zur Erhöhung der Selbstwirksamkeitserwartung. Von ihren Erfahrungen berichten sie im Interview.

Was sind die Besonderheiten des Fachs Mathematik im Lehramtsstudium und wie können digital gestützte Lehrangebote das erfolgreiche Lernen im Fach unterstützen?

Prof. Dr. Brandt & Dr. Wöller: Für das Grundschullehramtsstudium ist Mathematik und ihre Didaktik, unabhängig vom gewählten Kernfach bzw. Vertiefungsfach, verpflichtend von den Studierenden zu belegen. Für diesen Studiengang sind die fachmathematischen Grundlagen verbunden mit einer Wiederholung des Schulstoffes, der punktuell von einem ‚höheren Standpunkt‘ aus betrachtet wird. Gerade für derlei Wiederholungsphasen bringen die Studierenden ganz unterschiedliche fachliche Voraussetzungen mit. Daher profitieren sie in besonderer Weise von unseren digitalen Selbstlernangeboten. Im Grundschullehramtsstudium spielt die Vernetzung von Fach und Fachdidaktik zudem eine bedeutende Rolle, da ein tieferes Verständnis mathematischer Strukturen oftmals für ein Verständnis fachdidaktischer Inhalte unabdingbar zu sein scheint. Da allerdings nicht an jeder Universität fachmathematische Veranstaltungen zugleich von Fachdidakter:innen angeboten werden, können wir den Studierenden durch unsere entwickelten Materialien ein zielgruppenorientiertes Angebot zur Vernetzung dieser Themen unterbreiten. Dadurch werden naturgemäß auch die in Lehrveranstaltungen behandelten Themen um weitere Inhalte angereichert, was zu einem tieferen Verständnis der Studierenden von mathematischen und fachdidaktischen Zusammenhängen führt sowie den Blick für zentrale Themen des Studiums schärft.

Dr. Zschalig: Das Fach Mathematik wird oft als herausfordernd empfunden. Das spiegelt sich auch in relativ hohen Abbruchraten wider. Als Gründe werden u. a. die unterschiedlichen Fachkulturen zwischen Schulmathematik und höherer Mathematik genannt, aber auch Ursachen, die auf fehlende Selbstorganisation zurückgehen. Der Bruch zwischen Schulmathematik und Hochschulmathematik ist abrupt. Aus diesem Grund sind inzwischen in vielfacher Weise Unterstützungsangebote an verschiedenen Hochschulen etabliert worden. Digital gestützte Angebote können durch die Bereitstellung differenzierter Aufgabenformate und kognitiv aktivierender Formate Lernprozesse besonders unterstützen und einerseits durch automatisiertes Feedback sowie andererseits durch die Bereitstellung von fachlich und didaktisch durchdachten Materialien wie interaktiven Erklärvideos das Selbstlernen und die Selbstorganisation unterstützen.

In Ihren Fellowships sollen die entstandenen Materialien jeweils in Inverted- bzw.- Flipped-Classroom-Ansatz eingebettet werden. Wie sieht das konkret aus?

Prof. Dr. Brandt & Dr. Wöller: An den Standorten Chemnitz, Dresden und Leipzig sind in Anlehnung an die in der Lehramtsprüfungsordnung festgelegten Themen für das Studium verschiedene digitale Lehr- und Lernangebote zu unterschiedlichen Szenarien entwickelt worden. Dabei haben wir insbesondere die durch die pandemiebedingte Onlinelehre entwickelten Materialien aufgegriffen und überarbeitet. Ebenso wurden aber auch neue Materialien sowohl für Studierende als auch für Dozierende konzipiert. Diese Sammlung an digitalen Lehr- und Lernangeboten soll mithilfe der in Sachsen gängigen Lernplattform OPAL durch einen angelegten Kurs zur Verfügung gestellt werden, sodass sie nachhaltig und standortübergreifend genutzt werden kann. Beispielhaft können hier Vorlesungsmaterialien (kommentierte Foliensätze, Aufzeichnungen etc.), Lernvideos, Lesetexte mit Arbeitsaufträgen oder auch Aufgaben mit Lösungen genannt werden. Die Studierenden können diese und ähnliche Materialien zur nachträglichen individuellen Vertiefung von in Lehrveranstaltungen behandelten Themen oder auch zur Seminar- und Prüfungsvorbereitung nutzen. Ebenso denkbar ist es, dass Studierende die Materialien zur Vorbereitung ihrer Praktika heranziehen. Grundsätzlich soll der OPAL-Kurs fortwährend weiterentwickelt und sukzessive angereichert werden.

Dr. Zschalig: In mathematischen Studiengängen sind Lehrveranstaltungen oft zweigeteilt: In der Vorlesung nehmen die Studierenden Wissen vorrangig passiv auf und wiederholen und festigen es in der Übung. Gerade leistungsschwächeren Studierenden fällt es schwer, die Fülle des Stoffs zu überblicken. Dann kommen sie oft nicht optimal vorbereitet in die Übung.
Ziel unseres Projekts ist die Aktivierung der Studierenden zwischen Vorlesung und Übung: Das weniger komplexe Erlernen, Reproduzieren und Verstehen vorrangig prozeduraler bzw. algorithmischer Fähigkeiten wird in die Selbstlernphase ausgelagert. Die Übungen bieten dann Zeit für das anspruchsvollere Diskutieren mathematischer Konzepte und Zusammenhänge. Zudem sind die Online-Aufgaben inhaltlich differenziert und geben ein inhaltliches Feedback. In geringerem Maß erlauben auch die Videos eine inhaltliche Differenzierung und damit ein Hilfsmittel bei Bedarf. Die Aufgaben, die im Allgemeinen randomisiert sind, bieten zusätzlich einen quasi unerschöpflichen Pool an Übungen.

Welche Rückmeldungen haben Sie bisher von den Studierenden zu Ihren Angeboten erhalten?

Prof. Dr. Brandt & Dr. Wöller: Da wir uns noch in der Ausgestaltung des OPAL-Kurses befinden, liegt uns von der breiten Studierendenschaft beispielsweise hinsichtlich der Funktionalität des Kurses o. Ä. noch keine Rückmeldung vor. Allerdings wurden die digitalen Lehr- und Lernmittel quasi informell von den studentischen Hilfskräften der jeweiligen Standorte evaluiert. Die so erhaltenen Rückmeldungen sind dabei durchweg positiv zu bewerten. Da der Aufbau des Kurses sowie die Querverweise und additionalen Erläuterungen auch maßgeblich durch die studentischen Hilfskräfte mit- und ausgestaltet und somit nutzerorientiert entwickelt wurden, scheint eine Anwendbarkeit durch Studierende unmittelbar gegeben zu sein.

Dr. Zschalig: UnsereTutorials sind noch im Entstehen und wurden bisher noch nicht systematisch eingesetzt. Die bisher in Lehrveranstaltungen verwendeten Materialien wurden von den Studierenden positiv aufgenommen.

Was wird am Ende Ihres Fellowships zur Verfügung stehen und wie können ggf. auch andere Lehrende und Studierende von diesem Angebot profitieren?

Prof. Dr. Brandt & Dr. Wöller: Am Ende unseres Fellowships werden wir einen OPAL-Kurs, gefüllt mit standortübergreifenden Lehr- und Lernmaterialien, vorliegen haben, der sich perspektivisch fortlaufend an die Bedürfnisse der Studierenden sowie Erwartungen der Dozierenden anpasst. Diese Materialien können von den Studierenden zur Vor- und Nachbereitung, Wiederholung oder auch Vertiefung ihrer Studieninhalte genutzt werden. Dozierende können die Materialien zur Seminarvorbereitung oder auch zur aktiven Gestaltung ihrer Seminare im Sinne des flipped classroom verwenden. Zudem besteht die Möglichkeit, dass insbesondere neue Kolleg:innen einen Zugang zu den im Grundschullehramtsstudium zentralen Kernthemen für das Fach Mathematik erhalten. Gerne würden wir überdies mit unserem Projekt als ‚gutes Beispiel‘ zur standortübergreifenden Vernetzung weiterer Fachdidaktiken vorangehen und stellen das Fellowship bspw. auch auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik (GDM) vor.

Dr. Zschalig: Am Ende des Fellowships werden ca. 15-20 Tutorials zur Verfügung stehen: jeweils ca. 5- 10 minütige Erklärvideos und jeweils 5-10 ONYX-Aufgaben, die größtenteils randomisiert sind. Die Videos und Aufgaben stehen fakultätsweit zur Verfügung und können auf Grund des modulartigen Aufbaus auch in anderen Lehrveranstaltungen verwendet werden. Die Veröffentlichung der Videos z. B. in YouTube ist ebenfalls geplant.
Darüber hinaus entstand eine wissenschaftliche Abschlussarbeit, die die Grundkonzeption des Projekts ausführlich darstellt und in einen größeren theoretischen Rahmen einbettet.

Können Sie auch Materialien zwischen Ihren jeweiligen Fellowships austauschen und weiternutzen?

Prof. Dr. Brandt & Dr. Wöller: Ein Austausch mit anderen Fellowships, die in ähnlicher Weise an der Implementierung digitaler Lehr- und Lernangebote interessiert sind, ist durchaus denkbar. Dieser hat bislang allerdings noch nicht stattgefunden, da zunächst die Standorte Chemnitz, Dresden und Leipzig in einen intensiven Austausch miteinander getreten sind, der durch den Förderzeitraum zeitlich eng begrenzt war. Die Materialien sind jedoch für die nachhaltige Nutzung angelegt und entsprechend nutzbar.

Dr. Zschalig: Ob unsere Materialien in der Lehramtsausbildung für Grundschulmathematik eingesetzt werden können, kann ich nicht beurteilen, vermute aber, dass der mathematische Abstraktionsgrad zu hoch ist. Ziel ist es eher, die Tutorials in anderen Lehrveranstaltungen einzusetzen, gerade für die Mathematik-Ausbildung für andere Fakultäten. Wir haben die Videos bereits in den Lehrveranstaltungen „Mathematik für Informatik“ und „Lineare Algebra für Physik“ verwendet. Umgekehrt wären wir neugierig, welche Materialien in dem anderen Fellowship entstanden sind, vor allem aus methodischer Sicht.