Die Digitalisierung verändert nicht nur die Lehre an den Hochschulen, sie eröffnet auch neue Forschungs- und Anwendungsfelder, wie bspw. die Digital Humanities oder das Machine Learning. Die Kompetenzentwicklung der Studierenden für solche neuen Anwendungsgebiete ist Aufgabe aller Fachbereiche an den sächsischen Hochschulen und Universitäten. In zwei Tandem-Fellowships werden die speziellen Kompetenzen adressiert, die sich durch die Digitalisierung in den Fachbereichen der Literatur- und Sprachwissenschaft sowie an der Schnittstelle von Informatik und Erziehungswissenschaft ergeben. Im Interview berichten unsere Digital Fellows von den neuen Anforderungen an ihre Studierenden.

Digital Humanities und Machine Learning –Digital Fellowships zur Vermittlung von Kompetenzen für neue Forschungs- und Anwendungsfelder in einer digitalisierten Welt

In Zeiten einer digitalisierten Arbeits- und Forschungswelt müssen Studierende die Anwendung digitaler Systeme in Forschungs- und Bildungsprozessen verstehen und diese zielgerichtet einsetzen können. Das ist für ihre jeweiligen Fachbereiche das Ziel der Tandem-Fellowships von Prof. Dr. Alexander Lasch & Dr. Juliane Rehnolt von der TU Dresden sowie von Dr. Thomas Schmid & Caroline Mehner von der Universität Leipzig. Prof. Lasch und Dr. Rehnolt möchten die Kompetenzen der Studierenden im Erstellen, Edieren und Analysieren digitaler Textkorpora in den Literatur- und Sprachwissenschaften stärken. Dr. Schmid und C. Mehner entwickeln Lerneinheiten an der Schnittstelle der Informatik und der Erziehungswissenschaften zum Themenfeld des Machine Learning und der Künstlichen Intelligenz. Die vier Digital Fellows berichten im Interview über neue Anwendungsfelder und daraus entstehende Anforderungen.

Inwiefern verändern sich in Ihrem Fachbereich Forschungs- und Arbeitsprozesse durch die Digitalisierung?

Dr. Schmid & C. Mehner: In der Informatik sind digitale Arbeitsprozesse fester Bestandteil jeder Forschung. In didaktischen Kontexten dagegen entwickeln sich diese Bereiche im Moment sehr dynamisch. Neben bereits seit längerem etablierten digitalen Lehrmethoden rücken insbesondere digitale Auswertungs- und Bewertungsstrategien in den Fokus der Forschung. Für die Erziehungs- und Bildungswissenschaften könnte man Entwicklungen im Hinblick auf Digitalisierung vielleicht als genau gegenläufig beobachten: war Digitalisierung der Lehre bisher ein probates, weiteres Medium der Vermittlung, wandelt sie sich zusehends zum inhaltlichen Gegenstand der Forschung. Fragen wie „Inwiefern verändern Digitale Medien das Lernen oder inwiefern können sie Lernprozesse (positiv) beeinflussen?“ gewinnen zusehends an Relevanz und auch die Lehramtsausbildung verankert digitales Lehren und Lernen in den Curricula. Überdies werden Studierende auch im Lehramt zukünftig noch stärker mit der Erhebung und Verarbeitung von (Lernprozess-)Daten konfrontiert, auch hier bedarf es eines Bewusstseins und zu vermittelnder Kenntnisse.

Prof. Lasch & Dr. Rehnolt: Durch digitale Erschließungs- und Analysetechniken verändern sich auf den ersten Blick erst einmal unsere Gegenstände. Bearbeitungsstufen von Handschriften werden sichtbar, Texte und Textwelten kontextualisierbar, Namen und Geschichten werden vernetzt, vorher nicht Sichtbares scheint in Datenverbindungen auf. Gleichtzeitig bekommen Techniken wie ein close reading eine vollkommen neue Bedeutung, weil maschinelle Techniken das Verstehen und Interpretieren nicht erleichtern, sondern nur neue Anhaltspunkte für neue Fragestellungen und Interpretationsansätze eröffnen. Mit der Digitalisierung erweitern sich unsere Quellen und mit neuen Fragestellungen auch unsere Gegenstände quantitativ in einem solchen Maße, dass Kollaboration bei Erschließung und Analyse immer wichtiger werden. Gemeinsam arbeiten, Ergebnisse nachhaltig sichern und anderen freigebig zur weiteren Bearbeitung überlassen zu können, sind Prinzipien und hoffentlich auch irgendwann Haltungen, die eine Wissenschaftskultur der Digitalität prägen werden. Einen Wermutstropfen gibt es allerdings: Unsere Prüfungs- und Studienordnungen sind noch nicht soweit, um diesen Wandel adäquat abbilden zu können. Hier wartet noch viel Arbeit auf uns.

Wie werden diese die zukünftigen beruflichen Aufgabenfelder der Studierenden verändern?

Dr. Schmid & C. Mehner: In der Informatik geht der Trend weg vom reinen Programmieren im Sinne einer geschickten Aneinanderreihung von Befehlen hin zu einem Setting, in dem Rechner lernen sollen. Gerade im Umgang mit den immer allgegenwärtigen Daten kommen die Studierenden so in einem gewissen Sinne in die Rolle eines Lehrenden, in der sie stärker kontextbezogen und mit Blick über klassische Programmierkontexte hinaus empirisch denken müssen. Auch aus dem Bildungskontext ist Digitalisierung nicht wegzudenken. Gerade die Herausforderungen um Corona und den Lockdown haben gezeigt: Schulen (und Hochschulen) haben Aufholbedarf, was die Flexibilisierung und Individualisierung von Lernangeboten angeht. Die Digitalisierung bietet in dieser Hinsicht Chancen, die es didaktisch bedacht, zu nutzen gilt. Unsere Studierenden sehen sich nahezu selbstverständlich damit konfrontiert, darauf einzugehen. Es ist also auch an uns, diese Veränderungen mitzudenken und auch entsprechendes Rüstzeug für ihre zukünftige Tätigkeit zu bieten.

Prof. Lasch & Dr. Rehnolt: Studierende werden mehr und mehr mit anderen zusammenarbeiten und sich darauf einlassen müssen, dass sich Forschungsdesigns auch mit der Veränderung technischer Grundlagen und Einsichten in Gegenstände grundlegend verändern können. Ich bin mir sicher, dass nicht jede:r das will — nicht nur unter Studierenden, sondern auch und gerade unter Lehrenden geht im Moment die Mär von der Abschaffung der Präsenzlehre um. Allerdings werden wir uns der Herausforderung stellen (wir tun das ja auch schon ganz erfolgreich) müssen, dass mit den medialen Veränderungen und der Komplexitätssteigerung durch Digitalisierungs- und Vernetzungsprozesse auch unsere Aufgabenfelder vielseitiger werden. Bis vor einigen Jahren hatte bspw. das Bibliothekswesen keinen sonderlich gutes, oder sagen wir neutraler, eher ein angestaubtes Image. Im Moment sind große Wissenschaftsbibliotheken, wie die SLUB in Dresden, auf dem besten Wege, große und sehr aktive Player einer neuen Wissenschaftskultur zu werden. Hier öffnen sich nicht nur Herausforderungen und Gefahren, sondern besonders Chancen für eine aktive Gestaltung einer digitalen Wissensgesellschaft.

Welche neuen Kompetenzen müssen Ihre Studierenden dafür erwerben?

Dr. Schmid & C. Mehner: Als Schlagwort wird hier gern Data Literacy genannt, also ein gewisses Verständnis für Daten zu erwerben, das über das Auslesen von Zahlenkolonnen hinausgeht. So etwas lässt sich aber natürlich nur sehr eingeschränkt durch klassische Vorlesungen erreichen. Wir setzen daher verstärkt auf Projektarbeit und forschendes Lernen, welches wir mit digitalen Werkzeugen vereinfachen wollen. Data Literacy ist auch für die Erziehungs- und Bildungswissenschaften relevant, die Individualisierung von Lernen und die Passung von Lernangeboten auf Individuen ist angewiesen auf die Erhebung und sinnvolle Verarbeitung von Daten. Zukünftige Lehrerinnen und Lehrer werden diese lesen und verstehen lernen müssen. Überdies birgt die Digitalisierung selbstverständlich auch praktische, performative Herausforderungen: das Bedienen und Handlen von Tools einerseits muss einhergehen mit Kenntnissen über Didaktik um perspektivisch Lernprozesse gut begleiten zu können.

Prof. Lasch & Dr. Rehnolt: Neue methodische Herangehensweisen sind gefragt, um digitale Editionen und Korpora maschinell erschließen zu können. Rudimentäre Statistikkenntnisse zählen zu den Grundlagen, Programmieren in Python oder Pearl wird wichtiger. Aber nicht jede:r Studierende wird im Verlauf ihres oder seines Studiums den Ehrgeiz entwickeln, eine der beiden Programmiersprachen so zu beherrschen, dass Korpora maschinell damit ausgewertet werden können. Das ist aber auch nicht immer und in jeder Lerner:innenbiographie das Ziel. Viele wollen einfach verstehen, wie der Umgang mit digitalen Arbeitstechniken und Quellen den eigenen Gegenstand und Horizont erweitern kann. Sie werden einfach und leicht zugängliche Tools nutzen und sich — für komplexere Aufgaben — Hilfe holen, die sie dann mit ihren Erfahrungen direkt adressieren können. Diese Schnittstellenkompetenz wird in den nächsten Jahren immer wichtiger werden.

Wie unterstützen Sie in Ihrem Fellowship die Förderung dieser Kompetenzen?

Dr. Schmid & C. Mehner: Wir entwickeln einerseits ein Tool zur effektiven Begleitung Studierender bei den ersten Schritten einer Machine-Learning-Projektarbeit. Andererseits haben wir ein Konzept zur kollaborativen Texterstellung samt kollegialer Begutachtung sowie zur Analyse von Lernpfaden in Wikis entwickelt. Wir nehmen damit insbesondere das praktische, selbstgesteuerte Lernen in den Fokus und wollen dabei gezielt unterstützen. In den Angeboten an unsere Studierenden nutzen sie die Tools und entwickeln daraus eigene Projekte oder vertiefen Inhalte, sie lernen also Digitalisierung in ihrer Anwendung.

Prof. Lasch & Dr. Rehnolt: DigitaLiS ist ein Evaluationsprojekt, welches die Erfahrungen von Studierenden in der Lehre erfasst. Im Mittelpunkt stehen Veranstaltungen mit direktem Bezug zu den genannten Potentialen und Herausforderungen: Eine thematische Vorlesung („Digitalität – Herausforderungen für Gesellschaft und Wissenschaft“), ein Seminar zur maschinellen Analyse (im Bereich der germanistischen Linguistik), ein Seminar zur digitalen Edition (im Bereich der slavistischen Literaturwissenschaft) sowie ein Workshop zur Einübung in Auszeichnungssprachen (z.B. XML). Flankiert wird dieses kleine Curriculum — als Kern eines Masterstudiengangs „Digital Humanities“ (verzögert voraussichtlich erst ab dem WiSe 2022/2023) — von Programmierworkshops und -arbeitskreisen im TextLab der SLUB Dresden und Videoreihen zur Digitalen Lehre (Youtube Link). In Vorbereitung ist weiter ein OER-Portal.
Wir erreichen so, und das zeigen unsere ersten (kurz vor der Veröffentlichung stehenden) Ergebnisse, dass wir unsere Studierenden dazu einladen können, von ihrem jeweiligen Stand aus, sicher Methoden und Gegenstände digitaler Sprach- und Literaturwissenschaften zu erlernen, anzuwenden, zu diskutieren, zu reflektieren, einzufordern und erfolgreich gemeinsam mit anderen, z. B. Studierenden der Informatik, einzusetzen. So haben wir schon erste Ansatzpunkte, wie wir den Master „Digital Humanities“ gestalten können, um ihn für unsere Studierenden so attraktiv wie möglich zu gestalten. Schließlich erhoffen wir uns sekundär auch (valide gestützte) Einsichten, an welchen Stellen unsere Studienordnungen und Prüfungsordnungen dringend einer Aktualisierung bedürfen – und so wirkt DigitaLiS auch aktiv auf die Studiengangsentwicklung unserer Technischen Universität Dresden ein.