Prof. Dr. Georg Freitag von der HTW Dresden hat in seinem Fellowship ein Blended-Learning-Arrangement zur Begleitung und Anleitung des Codierens entwickelt und dieses im Wintersemester 2019/20 erstmals erprobt. Von diesen Erfahrungen profitiert er jetzt und kann mit einigen Anpassungen auch das Sommersemester digital beginnen.

Die Vorteile des Online Lernens nutzen und damit Freiheiten in der Präsenz schaffen. Von Plänen, aktuellen Herausforderungen und virtuellen Räumen.

Das Konzept des Blended Learning beschreibt die Verbindung und Kombination von E-Learning-Elementen und Präsenzveranstaltungen in gemeinsamen Lerneinheiten. Im Bereich der Software-Entwicklung hat Prof. Dr. Georg Freitag unter dem Titel „Blended Coding“ im Wintersemester eine bereits bestehende Lehrveranstaltung neu gestaltet. Diese wurde um E-Learning-Komponenten, Projektarbeiten und studierendenzentriertes Lernen erweitert. Wie ihm diese Erfahrungen jetzt nutzen, erklärt Prof. Dr. Freitag im Interview.

Worin sehen Sie die Vorteile eines Blended-Learning-Ansatzes? Wie wird dieser bei Ihnen konkret umgesetzt?

Prof. Dr. Freitag: Vorteile sehe ich vor allem darin, dass die individuellen Gewohnheiten der Studierenden zum Wissenserwerb berücksichtigt werden und diese zeit- und ortsgetrennt arbeiten können. So verwenden die studentischen Teams die Vielzahl ihrer Werkzeuge am besten Ort zur besten Zeit. Realtreffen nehmen demgegenüber eine gesonderte, achtsame Stellung ein und dienen vor allem dem Abgleich von Erwartungen, der Planung von Aufgaben und der Pflege sozialer Kontakte. Damit sind Arbeitsprozesse, die eher im digitalen Umfeld stattfinden, und Kommunikationsprozesse, die eher im realen Umfeld stattfinden, klar voneinander getrennt und Erwartungen können aufgebaut und erhalten bleiben. An diese Aufteilung gewöhnen sich die Studierenden recht schnell.

In meiner Lehrveranstaltung sollen die Studierenden im digitalen Umfeld den Prozess der Software-Entwicklung mit Planung, Konzeption und Entwicklung durchlaufen und dabei in Teams zusammenarbeiten. Hierbei müssen sie auch Aufgaben verteilen, diese nachverfolgen, im Projektteam abnehmen und den Projektstand dokumentieren. Für die Dokumentation der individuellen Fortschritte und Arbeiten führen sie zusätzlich ein persönliches Tagebuch.

Inwiefern werden Sie auch das Lehrkonzept Ihrer Präsenzveranstaltungen anpassen?

Prof. Dr. Freitag: In der Präsenzphase werden Zwischenstände präsentiert und es entstehen intensive Phasen von Rückmeldungen durch die Dozent:innen, aber auch der Kommiliton:innen. So kann auch die Diskussion fachlicher Themen und 1:1 Betreuung durch die Dozent:innen erfolgen. Ziel ist die Schaffung einer Arbeitsatmosphäre, in der konzentriert, gemeinsam aber individuell an den Projekten gearbeitet werden kann. So ähnlich wie man diesen Effekt der produktiven Arbeitsatmosphäre in Bibliotheken finden kann.

Die Corona-Krise fordert uns gerade alle auf, diesen Prozess schneller zu denken als wir beabsichtigt haben. Folgende Punkte habe ich aus dem Blended Learning für meine aktuelle Lehre mitgenommen: Die Bereitstellung von Informationsmaterial auf Abruf ist sinnvoll, denn Student:innen möchten sich ihre Zeit selbst einteilen. Außerdem ist es wichtig, für Fragen über einen unmittelbaren und offenen Kommunikationskanal erreichbar zu sein. Unmittelbar meint dabei kurze Antwortzeiten sowie einfache und direkte Antworten auf Fragen. Hierzu verwenden wir derzeit Slack bzw. Discord. Und offen meint – jeder sollte Fragen frei stellen können und jeder kann und soll darauf antworten. Dafür sind E-Mails ungeeignet. Vielmehr sollten virtuelle Räume zur gemeinsamen Arbeit angeboten werden, in denen man miteinander ins Gespräch kommen kann. Darüber hinaus habe ich mir vorgenommen, die Lernmedien und den Ablaufplan des Semesters offen als einen Entwurf zu kommunizieren. Die Student:innen können an diesem Entwurf jederzeit mitarbeiten, Hinweise geben und Änderungen vorschlagen. Als Dozent:in initialisiert und steuert man diesen Prozess nur noch und kann den stärkeren Fokus auf die Anwendung des Fachwissens statt auf dessen Wiedergabe legen. Denn alle notwendigen Informationen finden sich bereits online.

Benötigen die Studierenden zur Bearbeitung der Online-Phase eine Einführung und Vorbereitung? Wie stellen Sie diese sicher?

Prof. Dr. Freitag: Eine Lern- und Einarbeitsungsphase ist notwendig, um die Vielzahl neuer und sich veränderter Werkzeuge kennenzulernen. Allerdings verwenden wir in unserer Lehre auch Werkzeuge, die Student:innen bereits aus ihren anderen Fächern kennen bzw. die sie im privaten Umfeld ohnehin verwenden. In Präsenzveranstaltungen wird die Einführungsphase gemeinsam geprobt. Aktuell wird auf Tutorials verwiesen, die sich oftmals zu einer großen Zahl im Netz befinden und die man als Dozent:in vorsortieren kann. Ein interessanter Effekt ist, dass sich die Student:innen untereinander austauschen und Dinge gegenseitig über die digitalen Kanäle erklären. Im idealen Fall nutzen sie die vorgestellten Werkzeuge dann für ihre individuelle Arbeitsweise weiter.

Sehen Sie bereits jetzt Herausforderungen für sich und die Studierenden bei der Betreuung der Online-Phasen?

Prof. Dr. Freitag: Die größte Herausforderung sehe ich bei der Verwendung einheitlicher Werkzeuge und Arbeitsweisen. Aktuell gibt es für jeden Bedarf eine Vielzahl möglicher Werkzeuge, zudem müssen individuelle Bedarfe des Lehrenden erst bewusst reflektiert werden. Also, wie möchte ich eigentlich digital unterrichten? Welche Methoden und Abfolgen entsprechen meiner Art des Lehrens? In der aktuellen Lage wird deutlich, wie viele unterschiedliche Arbeitsweisen und Werkzeuge es wirklich gibt. Die Folgen davon sind für Dozent:innen, Mitarbeiter:innen und Student:innen spürbar. Für Dozent:innen bedeutet es einen hohen Aufwand zur Einarbeitung und zur Vorbereitung des Lernstoffes, weil jeder seinen besten Weg finden muss. Für Mitarbeiter:innen ist es ein ähnlich hoher Aufwand, die unterschiedlichen Arbeitsweisen zu erlernen und die Student:innen konstruktiv zu unterstützen. Die Student:innen haben mit einer großen Verwirrung zu kämpfen, die aus den unterschiedlichen Arbeitsweisen der Hochschullehrenden hervorgeht. Es bleibt für alle zu hoffen, dass dies nur eine befristete Ablenkung ist und wir in einen gewohnten Umgang mit den digitalen Werkzeugen übergehen.